Dienstag, 19. Februar 2008

Warum kann Deutschland nicht mehr träumen?

Wann traf eigentlich dieser Zeitpunkt ein? Dieser Moment, in dem aus dem Land der Dichter und Denker das Land der Zyniker und Schlechtmacher wurde? Was ist der Grund, weswegen wir der anderen Nation, dem "Super-Power" böse Intentionen vorwerfen, egal was sie auch tut?
Ich dachte heute, ich tue mir etwas Gutes, und leiste mir den Spiegel, hier käuflich für acht Dollar zu erwerben. Ein Stück alte Heimat, kann ja nie Schaden. Der Chefredakteur hat gewechselt. Mal sehen, ob sich tatsächlich was getan hat. Man erfährt von dem Wechsel an der Spitze auch sofort auf den ersten Seiten. Man gesteht dem Leser sogar ein, dass man manche Dinge besser hätte machen können. Oh, denke ich mir, während ich genüsslich meinen "Gyro" verschlinge (ja, heute war Verwöhntag), es tut sich doch noch was! Da räumt doch tatsächlich jemand einen Fehler ein! Nun ja, leider war es das dann auch schon, zu mehr als diesem einen Satz kann man sich dann doch nicht durchringen. Was genau man im Nachhinein wohl ihrer Meinung nach anders hätte machen können oder sollen, wir werden es wohl nie erfahren. Dafür wissen wir jetzt alle, dass der Spiegel das auflagenstärkste Nachrichtenmagazin in Europa ist. Und ich frage mich, ob außer dem Spiegel irgend jemand auf diese Zahl stolz sein sollte. Würde die Bild ein Nachrichtenmagazin rausgeben, es wäre wohl eine ernste Konkurrenz. Das wäre vielen Menschen wahrscheinlich sogar peinlich.
Noch immer frohen Mutes blättere ich also fix weiter zur Titelgeschichte. Über Barack Obama. Der Messias-Faktor steht da. Und ich wundere mich. Wie schlecht kann man über Barack schreiben, wenn man Bush so gehasst hat? Wie anders muss ein Kandidat sein, um einen Journalisten vom Spiegel zu überzeugen? Naja, Barack hat es auf alle Fälle nicht geschafft. Einen krasseren Gegensatz zum jetzigen Präsidenten könnte er kaum darstellen. Trotzdem versucht man noch verzweifelt, Parallelen zu finden. Wieso? Viel fällt mir nicht ein. Clinton hat in den deutschen Medien Rockstar-Status. Denn ihr Mann war der beste Präsident überhaupt. Obama kandidiert gegen sie, also sind wir gegen Obama. Anders kann ich mir den Gedankengang leider nicht vorstellen.
Die deutschen Medien zählen eine Reihe von Argumenten gegen Obama auf. Und wenn ich nicht ständig das Gefühl hätte, genau die gleiche Argumente letzte Woche erst auf CNN von einem Clinton-begeisterten Journalisten gehört zu haben, würde ich wohl an dieser Stelle versuchen, mich mit diesen Argumenten kritisch auseinanderzusetzen. Das haben aber schon viele vor mir getan. Vielleicht schafft es ja mal einer dieser bezahlten Journalisten, das Gleiche für seine Leser zu tun.
Eines jedoch fand ich bemerkenswert, diese Botschaft die ich immer wieder zwischen den Zeilen entdecke: man kann ihm nicht trauen. Die Art, wie er die Massen begeistert, ist Beängstigend. Die Leute sehen ihn nicht kritisch genug.
Und genau deswegen wünsche ich mir, man würde mal einen Auslandskorrespondenten anheuern, der tatsächlich mit Land und Kultur vertraut ist. Nicht jemanden, der gerade noch in Russland war und jetzt seine Landsleute über die USA informieren soll.
Natürlich ist es gut, sinnvoll, richtig, neuen Dingen skeptisch gegenüber zu stehen. Aber ist es so dramatisch, dass Obama Begeisterung hervorruft bei den Massen? Ich habe mir die Frage wirklich lange gestellt. Ich hasse Menschenaufläufe. Politiker mag ich auch eher selten. Glauben tu ich ihnen zumindest so gut wie nie. Rede um Rede habe ich mir von ihm angehört (nicht unbedingt freiwillig, eher berufsbedingt); vom Anfang bis zum Ende. Ja, wenn er das sagt was er meint, Recht hätte er schon, dachte ich am Anfang. Dann wurde die Skepsis immer Größer. Was für einen Grund habe ich, diesem Kerl zu vertrauen? Ist ja doch nur wieder irgendein Politiker. Keiner weiß was über ihn. Ich lass das Ganze einfach wieder. Ist ja eh egal. So nach und nach hat man dann doch immer mehr über diesen Menschen erfahren. Und so nach und nach wurde es immer interessanter. Jetzt waren es nicht mehr nur Reden. Die waren zwar toll, aber sooo begeistert haben sie einen dann doch nicht. Nein, da oben stand ein Mensch, mit dem man sich identifizieren konnte. Ich auf meine Weise. Weil ich mehr wollte. Weil ich gute Erziehung hatte, weil ich falsch von richtig unterscheiden kann, oder mich zumindest anstrenge, dies zu tun, und das von anderen auch so erwarte. Weil ich trotzdem nie das Gefühl hatte, so richtig dazu zu gehören. Weil ich wahnsinnig gut in der Schule war, aber irgendwie nie gut genug. Weil ich irgendwann nach Amerika ging. Weil ich dort sein konnte wie ich wollte, und das werden konnte, was ich werden wollte. Weil ich nicht glauben kann, dass man diese Möglichkeit nicht überall hat. Weil es mich um so mehr verwirrt, dass ein Land, dass auf großartigen Prinzipien aufgebaut wurde, so abgeglitten ist. Dass irgendwas einfach nicht mehr stimmt, und dass man dieses Irgendwas aufhalten muss, bevor es zu spät ist. Und da steht der Eine, der das alles in Worte fasst. Der Probleme richtig zu kategorisieren weiß. Der beide Seiten kennengelernt hat. Der sich irgendwann aufgerappelt hat, um doch noch das Richtige zu tun. Das ist das schöne an Amerika. Man kann immer nochmal anfangen. Und so erklären uns die deutschen Medien, dass seine politische Karriere in Deutschland ja undenkbar wäre. Ist das nicht schade? Sollte da nicht vielleicht mal was geändert werden? Ist es wirklich ein Generationenwechsel in einer Firma, wenn der alte Chef, Ende 50, geht, und der neue schon Mitte 40 ist?
Spiegel Online erklärt uns, dass man sich gewaltig umschauen wird, sollte Obama jemals ins Weiße Haus gelangen. Wie gut, dass dieser Redakteur das schon weiß. Und warum? Weil das alles zu schnell geht. So geht das nicht. Was hat denn die gute alte Tradition, das Langsamtun den Deutschen gebracht? Eine riesen Steuerhinterziehungsaffäre. Wie gut, dass diese Manager so lange gebraucht haben, um in ihre Spitzenposition zu gelangen.
Aber ich will das gar nicht als Gegenbeispiel anführen. Die Medien scheitern einfach daran, das Phänomen Obama zu verstehen. So ganz verstehen es ja nicht mal die Amis. Wie soll es ein Außensteher denn begreifen? Nur so viel: in Obama haben viele Menschen einen Kandidaten gefunden, der ihre Probleme in Worte fasst. Der begreift, um was es geht. Ist es problematisch, dass er die Reden von Martin Luther King und Konsortien als Vorlagen nimmt, um seine eigenen Reden zu entwerfen? Ich würde behaupten, es ist schlau. Wie bilde ich mich denn fort? Ich sehe nach, was andere vor mir getan haben, und orientiere mich an deren Beispiel. Viele Menschen haben versucht, Reden wie MLK zu halten. Das hat sie nicht zu dem Redner gemacht, wie Obama einer ist. Jemand, dem man zuhören kann. Dem man als Amerikaner glaubt. Nicht weil alle Amis dumm sind. Sondern weil er ihnen aus der Seele spricht, und sie anspricht. Es ist in diesem Vorwahlkampf nicht seine Pflicht, die Europäer anzusprechen.
Reifen wahre Ideen wirklich nur hinter verschlossenen Türen, wenn eine handvoll Auserwählter, mit dem richtigen Lebenslauf, sich miteinander auseinandersetzen (und tun sie das wirklich?)? Oder kann es vielleicht, nur vielleicht, möglich sein, dass ein Mensch durch seine Lebenserfahrung, durch seine Erziehung und Bildung, und mit Hilfe seines eigenen Intellekts, zu guten Ideen kommt? Nicht im Gespräch mit einem Partner, der ebenfalls zumindest Politologie studiert hat, sondern im Gespräch mit Freunden und Familie. Oder sind solche Dinge einfach komplett auszuschließen?
Und wäre es denn tatsächlich so schrecklich, ein Staatsoberhaupt zu haben, das in der Lage ist, die Menschen zu inspirieren? Oder ist es nicht sogar seine Pflicht? In Amerika zumindest ist die Kommunikation zwischen Präsident und Volk extrem wichtig. Präsidenten, die darin versagt haben, sind meistens ziemlich unehrenhaft aus ihrem Amt geschieden. Siehe Hoover. Siehe Bush in einem Jahr.
Natürlich ist es nur richtig, dass man gerade in Deutschland solchen Menschen, die die Massen anziehen, und die Macht haben, sie zu tausenden inspirieren und motivieren, mit Skepsis gegenüber steht. Schließlich weiß Deutschland wohl am besten, wo so was hinführen kann. Aber ist es Grund genug, oder Entschuldigung genug, an gar nichts mehr zu glauben? In Zynismus zu verfallen? Zu glauben, dass Inspiration nicht auch für gute Zwecke verwendet werden kann? Wieso dann sich nicht einfach den Kummer sparen, und Gestalten wie den Dalaih Lama dort lassen wo er ist? Ist uns Tibet wirklich so viel wichtiger wie z.B. Darfur? Oder könnte es sein, dass der Dalaih Lama uns inspiriert? Nur ein bisschen? Und wir uns deswegen für ihn bewusst Ärger mit den Chinesen einhandeln? Niemand kann vorhersagen, was Barack Obama machen wird, sollte er ins Weiße Haus gelangen. Man sollte aber zumindest die Chancen auch einmal im Guten suchen. Denn wenn er auch nur eines geschafft hat, so hat er Tausende von Menschen, die sich dem Schicksal ergeben haben, die sich niemals mehr politisch engagieren wollten, aus ihrem Schlaf erweckt. Und Diskussionen angeregt. Und nach sieben Jahren Depression kann es nicht schaden, mal wieder miteinander zu reden. Und nach vorne zu blicken.

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